#16 Mit Blut und Tränen durch den Wandel

Seit vielen Jahren beobachte ich, dass Emotionen in Veränderungsprojekten an der Tagesordnung sind und gleichzeitig alles versucht wird, diese unbemerkt zu lassen. Wandel lässt niemanden kalt – entweder man ist euphorisch und setzt alle Hebel in Bewegung, um etwas Neues ins Leben zu bringen oder man ist angepisst, dass schon wieder „eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird“. Dabei ist Veränderung auf rein biologischer Ebene etwas völlig Natürliches – unser Körper MUSS sich verändern, damit er weiterhin am Leben bleibt! In Organisationen hingegen scheinen Übergänge etwas Schmerzvolles zu sein. Warum wehren sich z.B. so viele Mitarbeiter gegen eine neue Ausrichtung, die ihnen langfristig eigentlich den Job sichern soll? Warum scheitern so viele Veränderungsprojekte an Widerständen, Ängsten und krampfhaftem Klammern an alten Werten?

Der Grund dafür liegt darin, dass Emotionen in der Wirtschaft noch immer nicht salonfähig sind.

Bei schwierigen privaten Ereignissen sitzen wir bald mit einem Freund oder einer Freundin zusammen und sagen: Ich verstehe, dass du traurig bist, weine dich aus und dann geht es dir besser! Bei großen Umbrüchen in Organisationen heißt es hingegen: Reiß dich zusammen! Oder: Du solltest resilienter werden, mach ein Seminar! Oder vielleicht auch: Wir verändern uns täglich, das ist agil!

Nein, ich mache mich nicht lustig. Angst, Schmerz, Freude, Lust, Abschied, Verzweiflung und Unsicherheit sind völlig normale Gefühle, wenn etwas Neues auf uns zukommt und sich langsam einnistet. Doch diese Gefühle als Führungskraft anzusprechen und den Mitarbeitern Mitgefühl zu geben, sind wir nicht gewohnt. Gleichzeitig braucht es gerade jetzt einen solchen Anker, wenn die Stürme der Veränderung um uns toben. Viele Führungskräfte können nicht „dableiben“, wenn die Menschen rundherum ängstlich, unsicher oder aggressiv werden. Dabei reicht oft die reine emotionale Präsenz – sie gibt Halt, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden gehört und verstanden. Und indem man eigene Emotionen zeigt, wird auch die Führungskraft selbst als Mensch wahr- und ernstgenommen. Sie müssen ja nicht gleich losheulen, aber zeigen Sie persönliche Betroffenheit oder Freude und vergessen Sie nicht:

Emotionen sind die wahren Blockaden oder Turbos für jede Art von Veränderung!

Wenn Sie etwas von sich preisgeben, wirken Sie authentisch und bekommen als Belohnung authentische Kollegen. Ich weiß, das ist viel verlangt: Einerseits sollen Sie in sich selbst ausreichend Stabilität finden, um mit den Turbulenzen des Alltags und den eigenen Emotionen sowie jenen der Mitarbeiter gelassen umzugehen. Andererseits verlangt diese Zeit auch nach neuen Formen der Zusammenarbeit – und das ist vielleicht die noch größere Herausforderung. Weg von der Konkurrenz, hin zu einem gesunden Miteinander, wo man sich gegenseitig fördert und die sogenannte kollektive Intelligenz einer Gruppe von Gleichgesinnten nutzt. In meinen Projekten ernte ich im ersten Moment immer noch Erstaunen, wenn ich vorschlage, dass sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen im Unternehmen an einen (virtuellen) Tisch setzen und ihr Wissen auf den Tisch legen sollen.

Wissen = Macht dient der Gesellschaft nicht länger.

Wer wirklich etwas bewegen will in einer Organisation und vielleicht auch auf dem Planeten, braucht übergreifende Zusammenarbeit und Menschen, die bereitwillig ihr Wissen in einen Topf werfen. Und auch Menschen, die in Kontakt treten, die sich miteinander auseinandersetzen, vielleicht sogar streiten und dann wieder gemeinsam in eine bunte Zukunft blicken und gegenseitig begeistert voranbringen. Politisches Taktieren, Informationen zurückhalten und „cool“ wirken wollen sind mit Sicherheit schädlich für eine proaktive und innovative Führungs- und Unternehmenskultur.

Manche von Ihnen sagen jetzt vielleicht, dass ich „blauäugig“ bin (das bin ich ohnehin …). Doch ich glaube tatsächlich, dass dies ein sinnvoller Weg ist. Kein leichter vielleicht, aber ein sinnvoller. Manchmal ertappe auch ich mich noch bei der Überlegung, wem ich welches Wissen weitergebe oder ob und wem ich meinen Zorn oder meine Begeisterung zumuten darf. Doch mittlerweile bin ich alt genug, dass es mir mehr Freude macht, meine Erfahrungen, meine volle, emotionale Power und mein Know-how weiterzugeben, als es zu sammeln und zu horten. Mein Buch „Emotionales Change Management“ ist das beste Beispiel dafür: Lange dachte ich, dass ich ein reines Fachbuch schreiben müsse, um bei Führungskräften und auch in der Kollegenschaft anerkannt zu werden. Doch richtig gut wurde es erst, als ich sehr persönliche Geschichten und emotionale Beispiele in den Inhalt aufnahm. Es erscheint demnächst im Springer Verlag – hier ist der Link zum Buch.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine lustvolle und nicht allzu tränenreiche Wandlung, viel Kraft und einen positiven Blick in die Zukunft.

Mira Maria Meiler

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